Kapitel II

Spanien

[57] Die Zufälligkeiten der äußeren Politik bewirkten es, daß die Römer früher als in irgend einem anderen Theil des überseeischen Continents sich auf der pyrenäischen Halbinsel festsetzten und hier ein zwiefaches ständiges Commando einrichteten. Auch hatte die Republik hier nicht, wie in Gallien und in Illyricum, sich darauf beschränkt die Küsten des italischen Meeres zu unterwerfen, vielmehr gleich von Anfang an nach dem Vorgang der Barkiden die Eroberung der ganzen Halbinsel in das Auge gefaßt. Mit den Lusitanern (in Portugal und Estremadura) hatten die Römer gestritten, seit sie sich Herren von Spanien nannten; die ›entferntere Provinz‹ war recht eigentlich gegen diese, und zugleich mit der näheren eingerichtet worden; die Callaeker (Galicia) wurden ein Jahrhundert vor der actischen Schlacht den Römern botmäßig; kurz vor derselben hatte in seinem ersten Feldzug der spätere Dictator Caesar die römischen Waffen bis nach Brigantium (Coruna) getragen und die Zugehörigkeit dieser Landschaft zu der entfernteren Provinz aufs neue befestigt. Es haben dann in den Jahren zwischen Caesars Tod bis auf Augustus Einherrschaft die Waffen in Nordspanien niemals geruht: nicht weniger als sechs Statthalter haben in dieser kurzen Zeit dort den Triumph gewonnen und vielleicht erfolgte die Unterwerfung des südlichen Abhangs der Pyrenäen vorzugsweise in dieser Epoche24. Die Kriege mit den stammverwandten Aquitanern [57] an der Nordseite des Gebirges, die in die gleiche Epoche fallen und von denen der letzte im Jahre 727 [27] siegreich zu Ende ging, werden damit in Zusammenhang stehen. Bei der Reorganisation der Verwaltung im J. 727 [27] kam die Halbinsel an Augustus, weil dort ausgedehnte militärische Operationen in Aussicht genommen waren und sie einer dauernden Besatzung bedurfte. Obgleich das südliche Drittel der entfernteren Provinz, seitdem benannt vom Baetisfluß (Guadalquibir), dem Regiment des Senats bald zurückgegeben wurde25, blieb doch der bei weitem größere Theil der Halbinsel stets in kaiserlicher Verwaltung, sowohl der größere Theil der entfernteren Provinz, Lusitanien und Callaecien26, wie die ganze große nähere. Unmittelbar nach Einrichtung der neuen Oberleitung begab sich Augustus persönlich nach Spanien, um in zweijährigem Aufenthalt (728 [26]. 729 [25]) die neue Verwaltung zu ordnen und die Occupation der noch nicht botmäßigen Landestheile zu leiten. Er that dies von Tarraco aus, und es wurde damals überhaupt der Sitz der Regierung der näheren Provinz von Neukarthago nach Tarraco verlegt, von welcher Stadt diese Provinz auch seitdem gewöhnlich genannt wird. Wenn es einerseits nothwendig erschien den Sitz der Verwaltung nicht von der Küste zu [58] entfernen, so beherrschte andererseits die neue Hauptstadt das Ebrogebiet und die Communicationen mit dem Nordwesten und den Pyrenäen. Gegen die Asturer (in den Provinzen Asturien und Leon) und vor allem die Cantabrer (im Vaskenland und der Provinz Santander), welche sich hartnäckig in ihren Bergen behaupteten und die benachbarten Gaue überliefen, zog sich mit Unterbrechungen, die die Römer Siege nannten, der schwere und verlustvolle Krieg acht Jahre hin, bis es endlich Agrippa gelang durch Zerstörung der Bergstädte und Verpflanzung der Bewohner in die Thäler den offenen Widerstand zu brechen.

Wenn, wie Kaiser Augustus sagt, seit seiner Zeit die Küste des Oceans von Cadiz bis zur Elbmündung den Römern gehorchte, so war in diesem Winkel derselben der Gehorsam recht unfreiwillig und von geringem Verlaß. Zu einer eigentlichen Befriedung scheint es im nordwestlichen Spanien noch lange nicht gekommen zu sein. Noch in Neros Zeit ist von Kriegszügen gegen die Asturer die Rede. Deutlicher noch spricht die Besetzung des Landes, wie Augustus sie angeordnet hat. Callaecien wurde von Lusitanien getrennt und mit der tarraconensischen Provinz vereinigt, um den Oberbefehl in Nordspanien in einer Hand zu concentriren. Diese Provinz ist nicht bloß damals die einzige gewesen, welche, ohne an Feindesland zu grenzen, ein legionares Militärcommando erhalten hat, sondern es wurden von Augustus nicht weniger als drei Legionen27 dorthin gelegt, zwei nach Asturien, eine nach Cantabrien, und trotz der militärischen Bedrängniß in Germanien [59] und in Illyricum ward diese Besatzung nicht vermindert. Das Hauptquartier ward zwischen der alten Metropole Asturiens Lancia und der neuen Asturica Augusta (Astorga) eingerichtet, in dem noch heute von ihm den Namen führenden Leon. Mit dieser starken Besetzung des Nordwestens hängen wahrscheinlich die daselbst in der früheren Kaiserzeit in bedeutendem Umfange vorgenommenen Straßenanlagen zusammen, obwohl wir, da die Dislocation dieser Truppen in der augustischen Zeit uns unbekannt ist, den Zusammenhang im Einzelnen nicht nachzuweisen vermögen. So ist von Augustus und Tiberius für die Hauptstadt Callaeciens Bracara (Braga) eine Verbindung mit Asturica, das heißt mit dem großen Hauptquartier, nicht minder mit den nördlich, nordöstlich und südlich benachbarten Städten hergestellt worden. Aehnliche Anlagen machte Tiberius im Gebiet der Vasconen und in Cantabrien28. Allmählich konnte die Besatzung verringert, unter Claudius eine Legion, unter Nero eine zweite anderswo verwendet werden. Doch wurden diese nur als abcommandirt angesehen und noch zu Anfang der Regierung Vespasians hatte die spanisehe Besatzung wieder ihre frühere Stärke; eigentlich reducirt haben sie erst die Flavier, Vespasian auf zwei, Domitian auf eine Legion. Von da an bis in die diocletianische Zeit hat eine einzige Legion, die 7. Gemina und eine gewisse Zahl von Hülfscontingenten in Leon garnisonirt.

Keine Provinz ist unter dem Principat weniger von den äußeren wie von den inneren Kriegen berührt worden als dieses Land des fernen Westens. Wenn in dieser Epoche die Truppencommandos gleichsam die Stelle der rivalisirenden Parteien übernahmen, so hat das spanische Heer auch dabei durchaus eine Nebenrolle gespielt; nur als Helfer seines Collegen trat Galba in den Bürgerkrieg ein und der bloße Zufall trug ihn an die erste Stelle. Die vergleichungsweise auch nach der Reduction noch auffallend starke Besatzung des Nordwestens der Halbinsel läßt darauf schließen, daß diese Gegend noch im zweiten und dritten Jahrhundert nicht vollständig botmäßig gewesen ist; indeß [60] vermögen wir über die Verwendung der spanischen Legion innerhalb der Provinz, die sie besetzt hielt, nichts Bestimmtes anzugeben. Der Krieg gegen die Cantabrer ist mit Hülfe von Kriegsschiffen geführt worden; nachher haben die Römer keine Veranlassung gehabt hier eine dauernde Flottenstation einzurichten. – Erst in der nachdiocletianischen Zeit finden wir die pyrenäische Halbinsel wie die italische und die griechisch-makedonische ohne ständige Besatzung.

Daß die Provinz Baetica wenigstens seit dem Anfang des 2. Jahrhunderts von der gegenüberliegenden Küste aus durch die Mauren – die Piraten des Rîf – vielfach heimgesucht wurde, wird in der Darstellung der africanischen Verhältnisse näher auszuführen sein. Vermuthlich ist es daraus zu erklären, daß, obwohl sonst in den Provinzen des Senats kaiserliche Truppen nicht zu stehen pflegen, ausnahmsweise Italica (bei Sevilla) mit einer Abtheilung der Legion von Leon belegt war29. Hauptsächlich aber lag es dem in der Provinz von Tingi (Tanger) stationirten Commando ob das reiche südliche Spanien vor diesen Einfällen zu schützen. Dennoch ist es vorgekommen, daß Städte wie Italica und Singili (unweit Antequera) von den Piraten belagert wurden.

Wenn dem weltgeschichtlichen Werke der Kaiserzeit, der Romanisirung des Occidents, von der Republik irgendwo vorgearbeitet war, so war dies in Spanien geschehen. Was das Schwert begonnen, führte der friedliche Verkehr weiter: das römische Silbergeld hat in Spanien geherrscht lange bevor es sonst außerhalb Italien gangbar ward und die Bergwerke, der Wein- und Oelbau, die Handelsbeziehungen bewirkten an der Küste, namentlich im Südwesten ein stetiges Einströmen italischer Elemente. Neukarthago, die Schöpfung der Barkiden und von seiner Entstehung an bis in die augustische Zeit die Hauptstadt der diesseitigen Provinz und der erste Handelsplatz Spaniens, umschloß schon im siebenten Jahrhundert eine zahlreiche römische Bevölkerung; Carteia, gegenüber dem heutigen Gibraltar, ein Menschenalter vor der Gracchenzeit gegründet, ist die erste überseeische Stadtgemeinde mit einer Bevölkerung römischen Ursprungs (2, 4); die altberühmte Schwesterstadt Karthagos, Gades, das heutige Cadiz, die erste [61] fremdländische Stadt außerhalb Italien, welche römisches Recht und römische Sprache annahm (3, 554). Hatte also an dem größten Theil der Küste des mittelländischen Meeres die alteinheimische wie die phönikische Civilisation bereits unter der Republik in die Art und Weise des herrschenden Volkes eingelenkt, so wurde in der Kaiserzeit in keiner Provinz die Romanisirung so energisch von oben herab gefördert wie in Spanien. Vor allem die südliche Hälfte der Baetica zwischen dem Baetis und dem Mittelmeer hat zum Theil schon unter [15. 14] der Republik oder durch Caesar, zum Theil in den J. 739 und 740 durch Augustus eine stattliche Reihe von römischen Vollbürgergemeinden erhalten, die hier nicht etwa vorzugsweise die Küste, sondern vor allem das Binnenland füllen, voran Hispalis (Sevilla) und Corduba (Cordova) mit Colonialrecht, mit Municipalrecht Italica (bei Sevilla) und Gades (Cadiz). Auch im südlichen Lusitanien begegnet eine Reihe gleichberechtigter Städte, namentlich Olisipo (Lissabon), Pax Julia (Beja) und die von Augustus während seines Aufenthalts in Spanien gegründete und zur Hauptstadt dieser Provinz gemachte Veteranencolonie Emerita (Merida). In der Tarraconensis finden sich die Bürgerstädte überwiegend an der Küste, Karthago nova, Ilici (Elche), Valentia, Dertosa (Tortosa), Tarraco, Barcino (Barcelona); im Binnenland tritt nur hervor die Colonie im Ebrothal Caesaraugusta (Saragossa). Vollbürgergemeinden zählte man in ganz Spanien unter Augustus funfzig; gegen funfzig andere hatten bis dahin latinisches Recht empfangen und standen hinsichtlich der inneren Ordnung den Bürgergemeinden gleich. Bei den übrigen hat dann Kaiser Vespasianus bei Gelegenheit der von ihm im J. 74 veranstalteten allgemeinen Reichsschätzung die latinische Gemeindeordnung ebenfalls eingeführt. Die Verleihung des Bürgerrechts ist weder damals noch überhaupt in der besseren Kaiserzeit viel weiter ausgedehnt worden als sie in augustischer Zeit gediehen war30, wobei wahrscheinlich hauptsächlich die Rücksicht auf das den Reichsbürgern gegenüber beschränkte Aushebungsrecht maßgebend gewesen ist.

Die einheimische Bevölkerung Spaniens, welche also theils mit italischen Ansiedlern vermischt, theils zu italischer Sitte und Sprache [62] hingeleitet ward, tritt in der Geschichte der Kaiserzeit nirgends deutlich erkennbar hervor. Wahrscheinlich hat derjenige Stamm, dessen Reste und dessen Sprache sich bis auf den heutigen Tag in den Bergen Vizcayas, Guipuzcoas und Navarras behaupten, einstmals die ganze Halbinsel in ähnlicher Weise erfüllt, wie die Berbern das nordafrikanische Land. Ihr Idiom, von den indogermanischen grundverschieden und flexionslos wie das der Finnen und Mongolen, beweist ihre ursprüngliche Selbständigkeit und ihre wichtigsten Denkmäler, die Münzen, umfassen in dem ersten Jahrhundert der Herrschaft der Römer in Spanien die Halbinsel mit Ausnahme der Südküste von Cadiz bis Granada, wo damals die phoenikische Sprache herrschte, und des Gebietes nördlich von der Mündung des Tajo und westlich von den Ebroquellen, welches damals wahrscheinlich großentheils factisch unabhängig und gewiß durchaus uncivilisirt war; in diesem iberischen Gebiet unterscheidet sich wohl die südspanische Schrift deutlich von der der Nordprovinz, aber nicht minder deutlich sind beide Aeste eines Stammes. Die phoenikische Einwanderung hat sich hier auf noch engere Grenzen beschränkt als in Africa und die keltische Mischung die allgemeine Gleichförmigkeit der nationalen Entwickelung nicht in einer für uns erkennbaren Weise modificirt. Aber die Conflicte der Römer mit den Iberern gehören überwiegend der republikanischen Epoche an und sind früher dargestellt worden (1, 674f.). Nach den bereits erwähnten letzten Waffengängen unter der ersten Dynastie verschwinden die Iberer völlig aus unseren Augen. Auch auf die Frage, wie weit sie in der Kaiserzeit sich romanisirt haben, giebt die uns gebliebene Kunde keine befriedigende Antwort. Daß sie im Verkehr mit den fremden Herren von jeher veranlaßt sein werden sich der römischen Sprache zu bedienen, bedarf des Beweises nicht; aber auch aus dem öffentlichen Gebrauch innerhalb der Gemeinden schwindet unter dem Einfluß Roms die nationale Sprache und die nationale Schrift. Schon im letzten Jahrhundert der Republik ist die anfänglich in weitem Umfange gestattete einheimische Prägung in der Hauptsache beseitigt worden; aus der Kaiserzeit giebt es keine spanische Stadtmünze mit anderer als lateinischer Aufschrift31. Wie die [63] römische Tracht war die römische Sprache auch bei denjenigen Spaniern, die des italischen Bürgerrechts entbehrten, in großem Umfang verbreitet und die Regierung begünstigte die factische Romanisirung des Landes32. Als Augustus starb, überwog römische Sprache und Sitte in Andalusien, Granada, Murcia, Valencia, Catalonien, Arragonien, und ein guter Theil davon kommt auf Rechnung nicht der Colonisirung, sondern der Romanisirung. Durch die vorher erwähnte Anordnung Vespasians ward die einheimische Sprache von Rechtswegen auf den Privatverkehr beschrankt. Daß sie in diesem sich behauptet hat, beweist ihr heutiges Dasein; was jetzt auf die Berge sich beschränkt, welche weder die Gothen noch die Araber je besetzt haben, wird in der römischen Zeit sicher über einen großen Theil Spaniens, besonders den Nordwesten sich erstreckt haben. Dennoch ist die Romanisirung in Spanien sicher sehr viel früher und stärker eingetreten als in Africa; Denkmäler mit einheimischer Schrift aus der Kaiserzeit sind in Africa in ziemlicher Anzahl, in Spanien kaum nachzuweisen, und die Berbersprache beherrscht heute noch halb Nordafrica, die iberische nur die engen Thäler der Vasken. Es konnte das nicht anders kommen, theils weil in Spanien die römische Civilisation viel früher und viel kräftiger auftrat als in Africa, theils weil die Eingeborenen dort nicht wie hier den Rückhalt an den freien Stämmen hatten.

Die einheimische Gemeindeverfassung der Iberer war von der gallischen nicht in einer für uns erkennbaren Weise verschieden. Von Haus aus zerfiel Spanien, wie das Keltenland dies- und jenseits der Alpen, in Gaubezirke; die Vaccaeer und die Cantabrer unterschieden sich [64] schwerlich wesentlich von den Cenomanen der Transpadana und den Remern der Belgica. Daß auf den in der früheren Epoche der Römerherrschaft geschlagenen spanischen Münzen vorwiegend nicht die Städte genannt werden, sondern die Gaue, nicht Tarraco, sondern die Cessetaner, nicht Saguntum, sondern die Arsenser, zeigt deutlicher noch als die Geschichte der damaligen Kriege, daß auch in Spanien einst größere Gauverbände bestanden. Aber die siegenden Römer behandelten diese Verbände nicht überall in gleicher Weise. Die transalpinischen Gaue blieben auch unter römischer Herrschaft politische Gemeinwesen; wie die cisalpinischen sind die spanischen nur geographische Begriffe. Wie der District der Cenomanen nichts ist als ein Gesammtausdruck für die Territorien von Brixia, Bergomum und so weiter, so bestehen die Asturer aus zweiundzwanzig politisch selbständigen Gemeinden, die allem Anschein nach rechtlich sich nicht mehr angehen als die Städte Brixia und Bergomum33. Dieser Gemeinden zählte die tarraconensische Provinz in augustischer Zeit 293, in der Mitte des zweiten Jahrhunderts 275. Es sind also hier die alten Gauverbände aufgelöst worden. Dabei ist schwerlich bestimmend gewesen, daß die Geschlossenheit der Vettonen und der Cantabrer bedenklicher für die Reichseinheit erschien [65] als diejenige der Sequaner und der Treverer; hauptsächlich beruht der Unterschied wohl in der Verschiedenheit der Zeit und der Form der Eroberung. Die Landschaft am Guadalquibir ist anderthalb Jahrhunderte früher römisch geworden als die Ufer der Loire und der Seine; die Zeit, wo das Fundament der spanischen Ordnung gelegt wurde, liegt derjenigen Epoche nicht so gar fern, wo die samnitische Conföderation aufgelöst ward. Hier waltet der Geist der alten Republik, in Gallien die freiere und mildere Anschauung Caesars. Die kleineren und machtlosen Districte, welche nach Auflösung der Verbände die Träger der politischen Einheit wurden, die Kleingaue oder Geschlechter, wandelten sich im Laufe der Zeit hier wie überall in Städte um. Die Anfänge der städtischen Entwickelung, auch außerhalb der zu italischem Recht gelangten Gemeinden, gehen weit in die republikanische, vielleicht in die vorrömische Zeit zurück; später mußte die allgemeine Verleihung des latinischen Rechts durch Vespasian diese Umwandlung allgemein oder so gut wie allgemein machen34. Wirklich gab es unter den 293 augustischen Gemeinden der Provinz von Tarraco 114, unter den 275 des zweiten Jahrhunderts nur 27 nicht städtische Gemeinden.

Ueber die Stellung Spaniens in der Reichsverwaltung ist wenig zu sagen. Bei der Aushebung haben die spanischen Provinzen eine hervorragende Rolle gespielt. Die daselbst garnisonirenden Legionen sind wahrscheinlich seit dem Anfang des Principats vorzugsweise im Lande selbst ausgehoben worden; als späterhin einerseits die Besatzung vermindert ward, andererseits die Aushebung mehr und mehr auf den eigentlichen Garnisonsbezirk sich beschränkte, hat die Baetica, auch hierin das Loos Italiens theilend, das zweifelhafte Glück genossen gänzlich vom Wehrdienst ausgeschlossen zu werden. Die auxiliare Aushebung, [66] welcher namentlich die in der städtischen Entwicklung zurückgebliebenen Landschaften unterlagen, ist in Lusitanien, Callaecien, Asturien, nicht minder im ganzen nördlichen und inneren Spanien in großem Maßstab durchgeführt worden; Augustus, dessen Vater sogar seine Leibwache aus Spaniern gebildet hatte, hat abgesehen von der Belgica in keinem der ihm unterstellten Gebiete so umfassend recrutirt wie in Spanien. – Für die Finanzen des Staates ist dies reiche Land ohne Zweifel eine der sichersten und ergiebigsten Quellen gewesen; Näheres ist darüber nicht überliefert. – Auf die Bedeutung des Verkehrs dieser Provinzen gestattet die Fürsorge der Regierung für das spanische Straßenwesen einigermaßen einen Schluß. Zwischen den Pyrenäen und Tarraco haben sich römische Meilensteine schon aus der letzten republikanischen Zeit gefunden, wie sie keine andere Provinz des Occidents aufweist. Daß Augustus und Tiberius den Straßenbau in Spanien hauptsächlich aus militärischen Rücksichten förderten, ist schon bemerkt worden; aber die bei Karthago nova von Augustus gebaute Straße kann nur des Verkehrs wegen angelegt sein, und hauptsächlich dem Verkehr diente auch die von ihm benannte und theilweise regulirte, theilweise neu angelegte durchgehende Reichsstraße35, welche, die italisch-gallische Küstenstraße fortführend und die Pyrenäen bei dem Paß von Puycerda überschreitend von da nach Tarraco ging, dann über Valentia hinaus bis zur Mündung des Jucar ungefähr der Küste folgte, von da aber quer durch das Binnenland das Thal des Baetis aufsuchte, sodann von dem Augustusbogen an, der die Grenze der beiden Provinzen bezeichnete und mit dem eine neue Milienzählung anhob, durch die Provinz Baetica bis an die Mündung des Flusses lief und also Rom mit dem Ocean verband. Dies ist allerdings die einzige Reichsstraße in Spanien. Später hat die Regierung für die Straßen Spaniens nicht viel gethan; die Communen, welchen dieselben bald wesentlich überlassen wurden, scheinen, soviel wir sehen, abgesehen von dem inneren Hochplateau, überall die Communicationen in dem Umfang hergestellt zu haben, wie der Culturstand der Provinz sie verlangte. Denn gebirgig wie Spanien ist, und nicht [67] ohne Steppen und Oedland, gehört es doch zu den ertragreichsten Ländern der Erde, sowohl durch die Fülle der Bodenfrucht wie durch den Reichthum an Wein und Oel und an Metallen. Hinzu trat früh die Industrie vorzugsweise in Eisenwaaren und in wollenen und leinenen Geweben. Bei den Schätzungen unter Augustus hatte keine römische Bürgergemeinde, Patavium ausgenommen, eine solche Anzahl von reichen Leuten aufzuweisen wie das spanische Gades mit seinen durch die ganze Welt verbreiteten Großhändlern; und dem entsprach die raffinirte Ueppigkeit der Sitten, die dort heimischen Castagnettenschlägerinnen und die den eleganten Römern gleich den alexandrinischen geläufigen gaditanischen Lieder. Die Nähe Italiens und der bequeme und billige Seeverkehr gaben für diese Epoche besonders der spanischen Süd- und Ostküste die Gelegenheit ihre reichen Producte auf den ersten Markt der Welt zu bringen, und wahrscheinlich hat Rom mit keinem Lande der Welt einen so umfassenden und stetigen Großhandel betrieben wie mit Spanien.

Daß die römische Civilisation Spanien früher und stärker durchdrungen hat als irgend eine andere Provinz, bestätigt sich nach verschiedenen Seiten, insbesondere in dem Religionswesen und in der Litteratur.

Zwar in dem noch später iberischen von Einwanderung ziemlich freigebliebenen Gebiet, in Lusitanien, Callaecien, Asturien, haben die einheimischen Götter mit ihren seltsamen meist auf -icus und -ecus ausgehenden Namen, der Endovellicus, der Eaecus, Vagodonnaegus und wie sie weiter heißen auch unter dem Principat noch sich in den alten Stätten behauptet. Aber in der ganzen Baetica ist nicht ein einziger Votivstein gefunden worden, der nicht ebenso gut auch in Italien hätte gesetzt sein können; und von der eigentlichen Tarraconensis gilt dasselbe, nur daß von dem keltischen Götterwesen am oberen Duero vereinzelte Spuren begegnen36. Eine gleich energische sacrale Romanisirung weist keine andere Provinz auf.

Die lateinischen Poeten in Corduba nennt Cicero nur um sie zu tadeln; und das augustische Zeitalter der Litteratur ist auch noch [68] wesentlich das Werk der Italiener, wenn gleich einzelne Provinzialen daran mithalfen und unter anderen der gelehrte Bibliothekar des Kaisers, der Philolog Hyginus als Unfreier in Spanien geboren war. Aber von da an übernahmen die Spanier darin fast die Rolle wenn nicht des Führers, so doch des Schulmeisters. Die Cordubenser Marcus Porcius Latro, der Lehrer und das Muster Ovids, und sein Landsmann und Jugendfreund Annaeus Seneca, beide nur etwa ein Decennium jünger als Horaz, aber längere Zeit in ihrer Vaterstadt als Lehrer der Beredsamkeit thätig, bevor sie ihre Lehrthätigkeit nach Rom verlegten, sind recht eigentlich die Vertreter der die republikanische Redefreiheit und Redefrechheit ablösenden Schulrhetorik. Als der erstere einmal in einem wirklichen Proceß aufzutreten nicht umhin konnte, blieb er mit seinem Vortrag stecken und kam erst wieder in Fluß, als das Gericht dem berühmten Mann zu Gefallen vom Tribunal weg in den Schulsaal verlegt ward. Auch Senecas Sohn, der Minister Neros und der Modephilosoph der Epoche, und sein Enkel, der Poet der Gesinnungsopposition gegen den Principat, Lucanus haben eine litterarisch ebenso zweifelhafte wie geschichtlich unbestreitbare Bedeutung, die doch auch in gewissem Sinn Spanien zugerechnet werden darf. Ebenfalls in der frühen Kaiserzeit haben zwei andere Provinzialen aus der Baetica, Mela unter Claudius, Columella unter Nero, jener durch seine kurze Erdbeschreibung, dieser durch eine eingehende zum Theil auch poetische Darstellung des Ackerbaus einen Platz unter den anerkannten stilisirenden Lehrschriftstellern gewonnen. Wenn in der domitianischen Zeit der Poet Canius Rufus aus Gades, der Philosoph Decianus aus Emerita und der Redner Valerius Licinianus aus Bilbilis (Calatayud unweit Saragossa) als litterarische Größen neben Vergil und Catull und neben den drei cordubensischen Sternen gefeiert werden, so geschieht dies allerdings ebenfalls von einem Bilbilitaner Valerius Martialis37, welcher [69] selbst an Feinheit und Mache, freilich aber auch an Feilheit und Leere unter den Dichtern dieser Epoche keinem weicht, und man wird mit Recht dabei die Landsmannschaft in Anrechnung bringen; doch zeigt schon die bloße Möglichkeit einen solchen Dichterstrauß zu binden die Bedeutung des spanischen Elements in der damaligen Litteratur. Aber die Perle der spanisch-lateinischen Schriftstellerei ist Marcus Fabius Quintilianus (35-95) aus Calagurris am Ebro. Schon sein Vater hatte als Lehrer der Beredsamkeit in Rom gewirkt; er selbst wurde durch Galba nach Rom gezogen und nahm namentlich unter Domitian als Erzieher der kaiserlichen Neffen eine angesehene Stellung ein. Sein Lehrbuch der Rhetorik und bis zu einem Grade der römischen Litteraturgeschichte ist eine der vorzüglichsten Schriften, die wir aus dem römischen Alterthum besitzen, von feinem Geschmack und sicherem Urtheil getragen, einfach in der Empfindung wie in der Darstellung, lehrhaft ohne Langweiligkeit, anmuthig ohne Bemühung, in scharfem und bewußtem Gegensatz zu der phrasenreichen und gedankenleeren Modelitteratur. Nicht am wenigsten ist es sein Werk, daß die Richtung sich wenn nicht besserte, so doch änderte. Späterhin tritt in der allgemeinen Nichtigkeit der Einfluß der Spanier nicht weiter hervor. Was bei ihrer lateinischen Schriftstellerei geschichtlich besonders ins Gewicht fällt, ist das vollständige Anschmiegen dieser Provinzialen an die litterarische Entwickelung des Mutterlandes. Cicero freilich spottet über den Ungeschick und die Provinzialismen der spanischen Dichtungsbeflissenen; und noch Latros Latein fand nicht den Beifall des römisch geborenen eben so vornehmen wie correcten Messalla Corvinus. Aber nach der augustischen Zeit wird nichts Aehnliches wieder vernommen. Die gallischen Rhetoren, die großen africanischen Kirchenschriftsteller sind auch als lateinische Schriftsteller einigermaßen Ausländer geblieben; die Seneca und Martialis würde an ihrem Wesen und Schreiben niemand als solche erkennen; an inniger Liebe zu der eigenen Litteratur und an feinem Verständniß derselben hat nie ein Italiener es dem calagurritanischen Sprachlehrer zuvorgethan.


Quelle:
Theodor Mommsen: Römische Geschichte. Berlin 1927, Bd. 5, S. 57-71.
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